Wann wird ein Spiel zum Lernspiel? Und welche Rolle spielt die Gesellschaft im „Gesellschaftsspiel“?
Im Zeitalter der Computerspiele mag sich (fälschlicherweise) der gute alte Terminus „Gesellschaftsspiel“ fast schon etwas altbacken, angestaubt und vorgestrig anhören. Für Neurowissenschaftler und Psychologen hingegen drückt der Begriff „Gesellschaftsspiel“, mit Akzent auf dem Wort „Gesellschaft“, etwas ganz elementar Wichtiges, Modernes und Zeitgemäßes aus.
Neurowissenschaftler der Ruhr-Uni Bochum zeigten anhand von Studien mit „Menschen und Mäusen“, dass angenehme Gesellschaft, z.B. beim Spielen, die Lernfähigkeit des Menschen deutlich verbessert. Und das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene bis ins hohe Alter.
Die Erkenntnis, dass der Gesellschaft im „Gesellschaftsspiel“ eine besondere Bedeutung zu- kommt, lässt auch die immer wieder gern gestellte Frage nach dem edukativen Wert bestimmter Spiele in neuem Licht erscheinen.
Können nur diejenigen Spiele, die ein klar definiertes Lernziel verfolgen – wie z.B. Lesen und Rechnen lernen – als echte Lernspiele angesprochen werden? Oder ist es vielmehr so, dass praktisch jede Art von Spiel, ja sogar der bloße Akt des Spielens in (angenehmer) Gesellschaft, sich positiv auf die Lernfähigkeit bzw. auf die kognitiven Fähigkeiten auswirkt?
Die Studien des Neurophysiologen Arne Buschler legen dies nahe. – Auch der Wiener Psychologe, Univ.-Lekt. Dr. Gerald Gatterer, unterstreicht in seinen Publikationen immer wieder die außerordentlich positive, kognitiv anregende Wirkung des Spiels, wenn man es zu einem „sozialen Spiel“, zu einem Spiel „in Gesellschaft“ macht. Gatterer, der auch als leitender Psychologe des Geriatriezentrums am Wienerwald tätig ist, erblickt im Medium „Spiel“ ein wichtiges, großes Potential zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit, und dass nicht nur bei Kindern sondern auch bei älteren Menschen, deren Ziel es ist, sich ihre geistige Agilität und Leistungsfähigkeit möglichst lange zu erhalten und damit auch möglichen dementiellen Störungen im höheren Alter vorzubeugen.
Dr. Armin Krenz, Dozent für angewandte Psychologie und Pädagogik, relativiert in einem Handbuch zur Kindergartenpädagogik die vielerorts immer noch stark in den Vordergrund gerückte Rolle des sogenannten „freien Spiels“.
Wörtlich schreibt Krenz: „Aufgabe der Pädagogik ist es daher, nicht primär dem sogenannten „freien Spiel“ die Hauptbedeutung zuzuweisen. Vielmehr geht es darum, Kindern dabei zu helfen – aktiv und engagiert – viele Spielformen zu entdecken, um dadurch erst eine Spielfähigkeit auf- und anschließend auszubauen.“
Die von dem renommierten Pädagogen aufgezählten Spielformen (Entdeckungs- und Wahrneh- mungsspiele, Gestaltungs- und Geschicklichkeitsspiele, Konstruktions- und Bauspiele, Steck- und Strategiespiele, Bewegungs- und Musikspiele, Finger- und Handpuppenspiele, Schatten- und Marionettenspiele, darstellendes Spiel und Interaktionsspiele, Aggressionsspiele zum Austoben und Ruhe- /Meditationsspiele, Rollen- und Emotionsspiele, Imitations- und spannende Planspiele, Märchen- und Mobilitätsspiele) lesen sich, so Hermann Hutter, Vorstand der Spielverlage e.V., „wie ein „Who is who?“ des weltweit einmalig großen und qualitativ hochwertigen Spieleangebots der Verlage im deutschsprachigen Raum.“ Darüber hinaus erklärt Hutter: „Das ungeheuer facettenreiche Spektrum an Spielen, die in Deutschland angeboten werden, stellt sicher, dass wirklich jeder etwas findet, das seinen Bedürfnissen, seinem Geschmack, seinen Talenten, seinem Temperament entspricht. Und das ist gerade bei Kindern von größter Wichtigkeit, denn Spielen muss in allererster Linie Spaß machen, damit es all jene positiven Wirkungen entfalten kann, die von Neurowissenschaftler, Psychologen und Pädagogen beschrieben werden.“ Die Mitglieder der „Spielverlage e.V.“ (vormals „Fachgruppe Spiel“) finden diese Aussage von Hermann Hutter auch immer wieder bestätigt von Schulen bzw. Lehrern, die von der Spielverlage e.V. seit vielen Jahren beim Aufbau von Spielegruppen und Spieleworkshops unterstützt werden. Beim Projekt „Spielen macht Schule“ wurden inzwischen in über 1000 Schulen mit großem Erfolg Spielzim- mer eingerichtet.
„Spielen wird unterschätzt“ erklärt Hans Mogel, Professor für Psychologie an der Universität Passau, in einem Beitrag für die Illustrierte FOCUS. „Die Lieblingsbeschäftigung unseres Nachwuchses gilt vielen als Kinderkram, als weitgehend nutzloser Zeitvertreib für den Fall, dass sonst nichts Wichtiges ansteht. Dabei ist sie unverzichtbar für eine gesunde Entwicklung. Spielen ist die beste Möglichkeit für Kinder, ihre Individualität auszuleben, weil sie in dem Moment ihre eigene Realität gestalten können.
Spielbegeisterte Erwachsene werden hier spontan bemerken, dass das, was der Psychologe als unverzichtbar für eine gesunde kindliche Entwicklung hervorhebt, auch Menschen im fortgeschrittenen Alter wohl tut. Das ebenso erfrischende wie geistig anregende, kurzzeitige Ab- und Eintauchen in eine eigene spielerische Realität mit eigenen Regeln und, nicht zu vergessen, eigener Moral.
Mogel formuliert das kurz und prägnant so: „Spielen tut gut. Es ist aktive Psychohygiene mit heilender Funktion. Indem man sozusagen spielend Stress abbaut, lernt man, mit den eigenen ängsten umzugehen. Man entspannt aus der Beschäftigung heraus. Kinder machen das spontan. Bei Erwachsenen funktioniert das übrigens genauso, wenn sie das Spielen noch nicht verlernt haben.“
Abschließend soll aber noch einmal Dr. Armin Krenz zitiert werden, der – wie in der Spielforschung seit vielen Jahren bekannt – unterstreicht, dass Kinder, die viel und intensiv spielen, in vier Kompetenzbereichen einer erfolgreichen Lebensgestaltung folgende Verhaltensmerkmale auf- und ausbauen:
a) im emotionalen Bereich: Erkennen, Erleben und Verarbeiten von Gefühlen; besseres Verarbeiten von Enttäuschungen und Versagungen; leichteres Ertragen von eindeutigen Situationen; geringere Aggressionsbereitschaft; stärker ausgeprägte Belastbarkeit; größere Ausdauer; Erle- ben einer größeren Zufriedenheit; ein gleichwertigeres Verhältnis der Grundgefühle Angst, Freude, Trauer, Wut.
b) im sozialen Bereich: besseres zuhören können bei Gesprächen; geringere Vorurteilsbildung anderen Menschen gegenüber: bessere Kooperationsbereitschaft; höheres Verantwortungsempfinden; höhere Regelakzeptanz, bessere Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten; intensivere Freundschaftspflege.
c) im motorischen Bereich: Kinder besitzen hier eine raschere Reaktionsfähigkeit, eine fliessen- dere Gesamtmotorik, bessere Auge-Hand-Koordination, differenziertere Grob- und Feinmotorik, ein besseres Balance-Empfinden für ihren Körper sowie eine gelungenere Absichtssteue- rung.
d) im kognitiven Bereich: Kinder zeigen ein besseres sinnverbundenes und mithin logisches Denken, eine höhere Konzentrationsfertigkeit, bessere Gedächtnisleistungen, eine höhere Wahrnehmungsoffenheit, differenzierteren Wortschatz und Sprache, ein besseres Mengen-, Zahl-, Farb- und Formverständnis, größere Fantasie und klügeres Durchschauen von Manipu- lationsversuchen. Kinder lernen im Spiel also gerade die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die not- wendig sind, ein selbstständiges, selbstverantwortlicheres und teilautonomes Leben zu führen, Situationen zu entschlüsseln und mit zu gestalten, Notwendigkeiten für ein soziales Verhalten zu erkennen und fremde sowie eigene Wünsche und Bedürfnisse miteinander abzuwägen. Es ist erstaunlich, das also gerade das Spiel der Kinder die in ihnen liegenden Potentiale unterstützt und sie in der Lage sind, gerade die Fertigkeiten zu entwickeln, die auch für einen späteren Schulbesuch erforderlich sind.
Fazit: Spielen ist Lernen. Dies gilt für allgemein unterhaltende Spiele – mit ihren vielfältigen Herausforderungen an geistige Beweglichkeit, vorausschauendes Denken, Reaktionsfähigkeit, Motorik, Wahrnehmung, Konzentration usw. – ebenso wie für Spiele, die einen ganz konkreten Lernzweck verfolgen. – Spielen macht geistig fit und hält geistig fit, das gilt für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Erwachsene und die sogenannten „Senioren“. Und Erwachsene mittleren Alters, die glauben, sich können sich im Hinblick auf die geistige Fitness im Alter noch etwas Zeit mit dem „Training“ lassen, denen sei zum guten Schluss nur noch gesagt: Schon ab dem 40. Lebensjahr beginnt es im Hirnkästchen verdächtig zu rieseln und zu kriseln. Und dieses Problem lässt sich durchaus noch „spielend“ bewältigen.